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Aus der Ur- und Frühgeschichte der Lügenpresse

Dieser SPIEGEL-Artikel (in Nr. 22 von 1952) wird wahrscheinlich nur wenige, außer den Pferdeleuten, die sich hierhin verirren mögen, interessieren. Mir dient er vor allem als Beispiel für die Tradition der unredlichen journalistischen Arbeit des SPIEGEL im Besonderen und für die Fragwürdigkeit von "Enthüllungsjournalismus" allgemein.

Ich hoffe, ich habe das auch für Nicht-Pferdeleute lesbar und vielleicht sogar interessant aufbereitet, denn interessant ist es allemal und beileibe nicht nur aus hippologischer Sicht.

Hintergrund ist das katastrophale Abschneiden der deutschen Springreiterequipe beim Preis der Nationen in Rom 1952, der erste, an dem deutsche Reiter nach dem Krieg nach einer Zwangspause von 11 Jahren wieder teilnehmen durften. Der SPIEGEL macht sich hier zum Sprachrohr eines (zweifellos eminenten) Züchters von blutgeprägten Pferden. Er wettert gegen die "dicken, schweren Warmblüter", mit denen die Deutschen beritten waren und gegen den damaligen großen alten Mann der deutschen Reiterei, vom SPIEGEL hämisch-witzisch "Napoleon des Turniersports" genannt, Oberlandstallmeister Dr. Gustav Rau, der seinerzeit für das Olympiadekommittee Pferde ankaufte.

Historischer Hintergrund: Nach dem Krieg und dem Zusammenbruch der Offizierstradition, wurden die Reiter aus den Kreisen der ländlichen Reiterei rekrutiert. Zweifelsohne ein wichtiger Wendepunkt, der völlig andere Umstände in der Ausbildung von Reiter und Pferd, sowie eine ganz neue Organisation erforderte.

Exkurs: Dass in diesem Artikel ein junger Reiter, wegen seines Mangels an Tischmanieren und weil Vadda ihm einen Smoking gekauft hatte (den er wohl eher NICHT bei der Papstaudienz getragen haben dürfte, sofern diese nicht abends stattfand, aber die Pointe war wohl zu gut für den SPIEGEL-Schmock, um ihr zu widerstehen - ein Bauer im Smoking, wo gibt's das denn?) lächerlich gemacht wird, ist unerträglich. So etwas wurde dann bei diesem Qualitätsmedium Tradition.

Ja, was da in Rom abgelaufen war, war in der Tat katastrophal, beschämend, entwürdigend für eine alte Reiternation, die einmal die Turnierplätze der Welt, mal weniger, meist mehr, beherrscht hatte. Für den eminenten Züchter blutgeprägter Pferde, war die Sache klar:
Die großen Reiter des Auslandes reiten "schnell" mit dem Kopf und den Augen. Sie siegen meist schon kurz nach dem Start und vor dem Ziel, weil sie fliegend durch die Startlinie gehen und weil sie wie zu einem Finish nach dem letzten Hindernis auf den letzten Metern aufdrehen. Jegliche Möglichkeit, unterwegs schneller zu reiten, nutzen sie, schneiden die Kurven, springen manchmal auch schief, gehen fliegend über Hoch-Weitsprünge und in großer Fahrt in die Kombination.
Das alles erfordert höchstens mittelgroße, edle schnelle Pferde mit viel Blut, viel Herz und Intelligenz, Pferde mit bedeutendem Galoppiervermögen und großer Springroutine. Die deutschen Pferde in Rom aber waren teilweise zu schwer oder zu heftig.
Und:
Das ist ... die Schuld des Oberlandstallmeisters a. D. Gustav Rau, der in der Hauptsache allein über den Ankauf der Pferde für den Stall des DOK entschied und überwiegend schwere Warmblüter ankaufte. "Gegen den Typ des in Warendorf vertretenen Springpferdes für moderne Anforderungen haben deutsche Fachleute wiederholt Bedenken geäußert." Im Ausland werden hochgezüchtete Springpferde und Vollblüter bevorzugt.
Thiedemann und sein 13-Zentner-Moritz Helsinki 1952 auf dem Weg zur Bronzemedaille.
Und jetzt kommt es: Schon nur zwei Monate später, bei den Olympischen Spielen in Helsinki, erritt sich der Landwirt und Ex-Unteroffizier der Kavallerieschule Hannover Fritz Thiedemann auf dem Holsteiner Meteor (dessen Spitzname, notabene, "der Dicke" war), auch Thiedemann und Meteor hatten der Katastrophenequipe von Rom angehört, die Bronzemedaille. Meteor hatte, bevor man sein Springtalent entdeckte und er noch Moritz hieß, bei einem Bauern den Wagen gezogen. Die deutsche Mannschaft (zwei der drei Reiter waren in Rom dabeigewesen) landete auf einem ehrenvollen 6. Rang.

Der ehemalige Moritz stieg im Laufe der Jahre zum erfolgreichsten Springpferd seiner Generation weltweit auf.

Die Bronze-Dressurmannschaft. VLNR Heinz Pollay (der doppelte Goldmedaillist 1936) mit Adular, Ida von Nagel mit Afrika und Fritz Thiedemann mit Chronist XX. Adular und Afrika waren hoch im Blut stehende Warmblüter von dem Trakehner Oxyd, Chronist XX war ein Vollblüter. Thiedemann erritt sich einen ehrenvollen 12. Rang.
Interessante Abschweifung: Fritz Thiedemann erritt sich mit der Dressurmannschaft in Helsinki eine weitere Bronzemedaille, eine Leistung, die lediglich ein Schwede 1920 vorweggenommen hatte, danach niemand mehr, heute wäre sie undenkbar. Die Pferde wurden übrigens von dem eminenten Kritiker der "dicken, schweren" Warmblüter, auf den sich der SPIEGEL berufen hatte, gezüchtet und gestellt und waren, selbstverständlich, blutgeprägt. Später sah man dann auch, nachdem statiöse Pferde in diesem Sport in Mode gekommen waren, im Dressurviereck eher schwere, dicke Warmblüter als leichte, elegante Blutpferde, etwas, das beweist, dass die Wahl des Pferdes immer eher vom Zeitgeschmack, als von der Leistung abhängig war. Dressur und Springen konnten (und können) nämlich beide.

Übrigens erritten sich in Helsinki die deutschen Vielseitigkeitsreiter, zwei Tierärzte und ein Landwirt, ebenfalls auf dicken deutschen Warmblütern, eine Bronze- (Dr. Wilhem Büsing, Einzel) und eine Silbermedaille (Mannschaft), und das in einer Sparte der Reiterei, die damals wie heute nun wirklich hoch im Blut stehende Pferde erfordert. Alle drei Pferde waren Hannoveraner ohne hohen Blutanteil.

Angesichts der Umstände eine echte Sensation, aber seien wir dankbar, dass die Vielseitigkeit ein vom nicht-fachkundigen Publikum unbeachteter Nischensport war, sonst wäre dem SPIEGEL sicher noch die eine oder andere auflagenstärkende Widerwärtigkeit eingefallen.

Dr. Wilhelm Büsing, Bauernsohn aus Oldenburg, auf Hubertus in Helsinki auf dem Weg zur Bronzemedaille. Der Wallach wurde später erfolgreich bis zur S-Dressur gefördert. Dr. Büsing wurde 1945 mit einer Arbeit über das Oldenburger Pferd promoviert. Er gab mit 70 seine Praxis auf und widmete sich nur noch der Pferdezucht. Vor zwei Jahren konnte er bei bester Gesundheit seinen 95sten Geburtstag feiern.

Der gebürtige Ostpreuße Dr. Otto Rothe auf Trux von Kamax in Helsinki. Sein Vater, Karl Rothe-Samonienen, war der Züchter der Dressur-Olympiapferde Kronos und Absinth, Gold- bzw. Silbermedaille in der Einzelwertung und Mannschaftsgold in Berlin 1936. Otto Rothe kam als Veterinäroffizier der Bundeswehr durch einen Unfall bei einem Manöver in Bad Reichenhall 1970 um's Leben.

Klaus Wagner, Gutsbesitzer und Pferdezüchter aus Niedersachsen, auf Dachs (Ort und Datum unbekannt). Wagner war viermal Mitglied der deutschen Olympiamannschaft der Vielseitigkeit, 1972 in München mit 50 Jahren zum fünften Mal als Reserve. Klaus Wagner starb 2001.
4 Jahre später konnte die deutsche Springreiterequipe in Stockholm sowohl die Einzel- als auch die Mannschaftsgoldmedaille gewinnen. Zwei der drei Pferde waren "schwere, dicke Warmblüter", eines, die legendäre Halla, eine Traberkreuzung.

Der deutschen Equipe wird ihre Goldmedaille von Avery Brundage überreicht. VLNR der holsteiner Bauer Fritz Thiedemann mit dem Holsteiner Meteor, der de-facto Berufsreiter Hans-Günther Winkler mit der Traberkreuzung Halla, der erst 26jährige westfälische Bauernsohn Alfons Lütke-Westhues mit der Westfälin Ala. Die enorme Bemuskelung und Kondition dieser Stute war der Tatsache geschuldet, dass sie, wie ihr Mannschaftskamerad Meteor-Moritz, bis zu ihrer Entdeckung vor Pflug und Wagen gegangen war.
In der Vielseitigkeit, damals in Deutschland in Erinnerung an die Offizierssport-Tradition noch nostalgisch "Military" genannt, konnten die Deutschen, ebenfalls wie in Helsinki mit dicken, schweren Warmblütern ohne nennenswerten Blutanteil, und auch wieder Hannoveraner, beritten, an die Erfolge von Helsinki anknüpfen und diese sogar mit der Mannschafts- und einer Einzel-Silbermedaille übertreffen. Sie hatten sich damit, wie schon in Helsinki 1952, gegen die angelsächsischen Reiternationen und andere, die auf Blutpferde aus England und Irland zurückgriffen, mehr als tapfer geschlagen.

VLNR der westfälische Bauernsohn August Lütke-Westhues mit Trux von Kamax (Einzel-Silbermedaille), der Gutsbesitzer Klaus Wagner aus Niedersachsen mit Prinzeß (im Pedigree der Stute kam erst nach vier Generationen Vollblut vor) und der Tierarzt Dr. Otto Rothe mit Sissi.

Übrigens griffen selbst Reiter aus Nationen, denen traditionell eigene indigene Blutpferde zur Verfügung standen, auch schon mal auf dicke, schwere deutsche Warmblüter zurück.

Der Spanier Francisco Goyoaga, erster Weltmeister der Springreiter 1953, hier in Stockholm 1956. Wochen später wurde er mit diesem Pferd Vizeweltmeister in Aachen, 1957 gewann er mit ihm die Großen Preise von Aachen und Genf. Es hieß Fahnenkönig und war ein Hannoveraner ohne nennenswerten Blutanteil. Wahrscheinlich konnte sich der Juwelier aus einer alten Reiterfamilie nichts Besseres leisten.
Und um das Ganze zu einem guten Ende zu bringen, hier ein Bild aus der ruhmreichen Vergangenheit der deutschen Springreiterei, als noch nicht irgendwelche Bauernlümmel auf eben mal ausgespannten Ackergäulen, sondern Offiziere und Herren auf edlen Blutpferden...

Es war nicht ganz so.

Ja, die erfolgreichen Nationenpreisreiter der 1930er Jahre waren allesamt Offiziere der Kavallerieschule Hannover, hier in Berlin 1933. VLNR Equipechef Wolfgang Freiherr von Waldenfels, Richard Sahla, Hermann Freiherr von Nagel-Itlingen, Heinz Brandt und Harald Momm. Aber beritten waren auch sie (meist) auf... Sie ahnen es und dieses Bild zeigt es - dicken, schweren Warmblütern.


Ein Einzelfall?

Nicht wirklich. Hier ist eine weitere schöne Ramsnasenparade.

Equipechef Freiherr von Waldenfels ist hier mit Harald Momms Baccarat beritten. Der Wallach war allerdings kein dickes, schweres deutsches Warmblut, sondern ein englisches Halbblut unbekannter Herkunft. Es kostete Momm (hier mehr über ihn) einige Anstrengungen, um diese Tatsache während der 1000 Jahre nicht allzu bekannt werden zu lassen.

IN YOUR FACE SPIEGEL!

Ich war kaum geboren, als dieser Artikel erschien, aber spätere SPIEGEL-Ergüsse über den Reitsport haben mich schon als halbes Kind denken lassen, dass, wer bei einem Thema unredlich ist, es vermutlich auch bei anderen ist, deren Inhalt man mangels Hintergrundwissens nicht beurteilen kann.

Einmal ein Drecksblatt, immer ein Drecksblatt.

(17.03.2018)

John Russell, der jagende Pfarrer – Ein verrücktes Leben

John "Jack" Russell* wurde am 21 Dezember 1795 in Dartmouth, South Devon, als Sohn des Pfarrers John Russell und seiner Frau Nora Jewell geboren. Die Familie war in Devon seit dem 16. Jahrhundert ansässig. John der Vater, dessen Vater ebenfalls Pfarrer gewesen war, hatte wohlhabend geheiratet und John der Sohn eine unbeschwerte Kindheit.

John war eine eindrucksvolle und bekannte Persönlickeit in der Grafschaft Devon, und obwohl seine Gemeinde ihn verehrte, war er nicht einer derjenigen Geistlichen, denen es nur um das spirituelle Wohlergehen ihrer Schäfchen gegangen wäre. So lange er lebte, nahm Russell mindestens dreimal in der Woche an Fuchsjagden zu Pferde teil. Er hielt eigene Pferde und eine eigene Otterhund-Meute und durfte den distinguierten Titel** "Master of Otter Hounds" tragen.

Die Erziehung des Knaben John war typisch für die des Sohns eines anglikanischen Geistlichen im 19. Jahrhundert. Er besuchte Plympton Grammar School bis er 14 war, dann die Public School*** Blundell’s in Tiverton. Blundell’s School vertrat, bis heute nicht unüblich für Public Schools, eine spartanische Pädagogik. Die Schüler mussten um 7 Uhr morgens an ihren Tischen sitzen und es heißt, die Tinte in den Tintenfässern sei gefroren gewesen. Auf dem Lehrplan standen Lateinisch, Griechisch, die Naturwissenschaften und, für eine Extragebühr, Tanzstunden.

Die Meinung der Lehrer über den Pfarrerssohn war nicht ungeteilt positiv, hatte er doch zusammen mit einem Freund die Gelegenheit wahrgenommen, Kaninchen und Ratten mit den örtlichen Landwirten zu jagen. Foxhounds wurden angeschafft und Russell erwies sich als begabter Hundeausbilder. Allerdings wurden die beiden von einem Mitschüler "verpetzt". Der Freund musste die Schule verlassen, John kam mit Prügelstrafe davon. Was aus den Hunden wurde, ist nicht bekannt.

1814 immatrikulierte sich John am Exeter College in Oxford. Er verließ Oxford 1818 mit dem geringsten Abschluss, war er doch kein fleißiger Student gewesen und investierte, so heißt es, nur "minimal" in seine Studien.

John Russell zu Pferde mit seiner Meute und einem Terrier, James Loder (1784–1860).
Seine Interessen lagen woanders. Während seiner Studienzeit in Oxford entdeckte er seine Leidenschaft für Terrier. Er hatte mit den Foxhounds des Herzog von Beaufort**** und den Meuten von Bicester und Old Berkshire gejagt und dabei aufmerksam die Methoden der erfahrenen Masters of Hounds beobachtet.

In der Zeit des Jack Russell wurde "sport" gleichgesetzt mit Fuchsjagd zu Pferde, Jagen und Angeln - "Hunting, Shooting, Fishing" - und der junge Mann zeigte außergewöhnliches Talent beim Umgang mit Hunden und Pferden. Im 19. Jahrhundert kannte man noch keine eindeutig definierte Terrier"rassen", obwohl es schon Typunterschiede gab. In der Cynographia Britannica, erschienen um 1800, werden zwei Typen erwähnt: krummbeinige und solche mit graden Beinen. Ihre Farbe war meist schwarz mit braunen Abzeichen. Rote, braun-gelbe und gefleckte wurden ebenfalls erwähnt, Weiß war die von Jägern bevorzugte Farbe, da sie es leichter machte, Hund und Jagdbeute auseinanderzuhalten. Rute und Ohren waren kupiert. Ihr Temperament wurde beschrieben als "mürrisch, schlechtgelaunt, reizbar und aufmerksam", aber auch als "tapfer und intelligent".

Die legendäre "Trump". Das Bild wurde vom Fürsten von Wales in Auftrag gegeben, rund 40 Jahre nach dem Tod der Hündin. Es hängt heute noch in der Sattelkammer von Sandringham.
So muss der junge John Russell auch seine legendäre weiße Hündin "Trump" gefunden haben, denn er soll sie, ohne dass er sie je hätte jagen sehen, einem Milchverkäufer nahe Oxford vom Wagen weggekauft haben.

Dieser eher lässige Umgang beim Kaufen und Verkaufen von Hunden scheint typisch für ihn gewesen zu sein. Seine finanziellen Umstände zwangen ihn, seine Meutehunde mehrere Male zu verkaufen und dass er von Trump ausgehend eine Linie durchgezüchteter Terrier entwickelt hätte, ist ins Reich der Fabel zu verweisen. Tatsächlich kaufte er Hunde, die ihm gefielen, behielt sie, wenn sie gut arbeiteten und gab sie weiter, falls nötig. Geldsorgen überschatteten sein Leben immer.

Vater Russell gefiel das Benehmen seines Sohnes nicht. Er sorgte dafür, dass der junge John von der Straße weg kam und 1820 wurde der 27jährige vom Bischof von Exeter zum Priester geweiht.

Das Leben eines anglikanischen Landpfarrers im 19. Jahrhundert war nicht unbedingt arbeitsintensiv. Sein Tagebuch erwähnt immer wieder, dass er in der einen Tageshälfte Gottesdienste, Hochzeiten und Begräbnisse zelebrierte und in der anderen dem Fuchs zu Pferde nachstellte. Seine Vorgesetzten fragten sich daher auch, wie er die Energie dazu aufbringe, ganz zu schweigen von seinem lebhaften Handel mit Hunden und Pferden und seiner Leidenschaft für "Hunting Parties" nach der Jagd. Von Zeit zu Zeit wurde die Frage auch öffentlich gestellt, die Lokalpresse nannte ihn den "nutzlosen Pfarrer Jack Russell", aber das tat seiner Popularität keinen Abbruch, im Gegenteil. Die meisten seiner Gemeindemitglieder liebten ihn.

1826 heiratete Russell die 26jährige Penelope Incledon Bury, eine Admiralstochter aus einer alten Devonshire-Familie, deren Mutter nicht begeistert über die Wahl ihrer Tochter gewesen sein soll. Und obwohl die Ehe fast 49 Jahre dauerte, meinte ein Biograph, dass es offensichtlich gewesen sei, dass seine Frau niemals zwischen ihn und seinen Lieblingssport geraten sei. Zwei Jahre nach der Heirat hatte Russell bereits einen beträchtlichen Teil von Penelopes Vermögen ausgegeben.

1832 zieht der Pfarrer mit seiner Familie nach Swimbridge, Devon, wo er 40 Jahre lang Vikar***** an der St James Church bleiben wird.

Es ist bemerkenswert, dass die Rasse, die seinen Namen unsterblich gemacht hat, eine relativ geringe Rolle in seinem Leben spielte. Obwohl er 1873 einer der Gründer des Kennel Club war, hatte er kein Interesse an Schauen. Was er brauchte waren gute Arbeitshunde, wie sie aussahen spielte keine Rolle für ihn, und obwohl er für den Rest seines Lebens Mitglied des Kennel Club blieb, hat er nie seine eigenen Hunde ausgestellt. Ihm wird das Zitat "A dog with one short leg and three long ones is no eyesore - as long as it can work properly" – "Ein Hund mit einem kurzen Bein und drei langen tut dem Auge nicht weh - solange er ordentlich arbeitet" zugeschrieben.

"Jocko with a Hedgehog" von Sir Edwin Henry Landseer (1802 bis 1873) und eine Terrierhündin des Russell-Typs im Besitz der Autorin. Der Typ hat sich bis heute treu erhalten.
Ein Terrierman der Bicester Hunt, mit der auch John Russell gejagt hat. Das Foto stammt schätzungsweise aus den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts.
Der Terrier des Jack Russell passte perfekt zu der Landschaft, der er entstammte, das rauhe, hügelige Gelände des "West Country". Diese Terrier konnten mit den schnellen Foxhounds mithalten, hatten eine Riesen-Ausdauer und waren intelligent. Ein verletzter oder müder Terrier wurde von Russell vor sich auf den Sattel genommen, in jeder anderer Hinsicht war er unnachgiebig. Von einem Hund, der nicht seinen Erwartungen entsprach, trennte er sich ohne Mitleid. Obwohl viele Jäger diese Terrier bei der Jagd auf Ratten oder Kaninchen einsetzten, tat Russell dies nur bei der Fuchsjagd. Der Pfarrer legte Wert darauf, dass seine Hunde den Fuchs nicht unter der Erde töteten oder ernsthaft verletzten, sondern ihn nur aus dem Bau sprengten, damit er über der Erde weiter gejagt werden konnte.

Der Fürst von Wales, später König Edward VII, lernt ihn 1873 kennen und lädt ihn ein zu einem Ball in Sandringham House. Jack tanzt bis 4 Uhr morgens und wird zur Weihnachtswoche erneut eingeladen. Der alte Schwerenöter charmiert Prinzessin Alexandra und tanzt hinein in das neue Jahr 1874 mit ihr.

Penelope Russell starb 1875 und sofort war John wieder in finanziellen Schwierigkeiten. Reiche Freunde unterstützten und feierten ihn anlässlich einer riesigen Party im Landhaus des Herzogs von Bedford, auch ein Russell,****** enthusiastisch.

John Russell in einer zeitgenössischen Karikatur.
1879 gehen der Fürst von Wales und John Russell gemeinsam auf Hirschjagd mit 2000 berittenen und 9000 Teilnehmern zu Fuß.

Am 24. April 1883 stirbt John Russell. Mehr als tausend Trauergäste nehmen an seinem Begräbnis teil. An diesem Tag findet man seine alten Predigten und andere Papiere vom Wind hin- und hergeblasen im Hof des Anwesens. Von Russell selbst bleiben nur wenig schriftliche Zeugnisse erhalten. In seinem Nachruf werden seine Terrier nicht erwähnt.

Anmerkungen:

* Auf die Diskussion, welcher Name der korrekte für die Terrier des John Russell ist, wird hier nicht eingegangen. In Deutschland ist der Parson Russell Terrier derjenige, der vom JGHV anerkannt ist, während der Jack Russell eher mit dem kurzbeinigen "Reiterjackie", den die englischen Pferdepflegerinnen in den 70er Jahren nach Deutschland brachten, assoziiert wird. In England und Amerika ist der Jack Russell der urtümliche Jagdterrier, der, in der Tradition des alten Pfarrers, keiner Schönheitskonkurrenz unterliegt, während der Parson Russell dort der Schauhhund ist.


Hunde des Russell-Typs in einer zeitgenössischen Darstellung: John Emms (1844 bis 1912) "Acht Drahthaar-Foxterrier im Zwinger".
In alten Darstellungen findet man auch Terrier, die eindeutig dem Typ des Jack Russell entsprechen, als Foxterrier bezeichnet. Die Bezeichnung "Jack Russell Terrier" ist neueren Datums.

** Der Titel "Master of Hounds" bringt bis heute beträchtliches gesellschaftliches Prestige in England mit sich.

*** Eine englische "Public School" ist nicht, wie in Amerika, eine "öffentliche Schule", sondern eine elitäre Privatschule.

**** Noch heute eine der prestigeträchtigsten "Hunts" (etwa: "Jagdclub") in England.

***** In der Church of England ist ein vicar ein voll ausgebildeter und ordinierter Geistlicher. Im Deutschen ist ein Vikar noch nicht ordiniert.

****** Dieser Familie entstammt auch der Philosoph Lord Bertrand Russell. Pfarrer John war nicht mit ihr verwandt.


Greg Mousley, 32 Jagdsaisons lang Terrierman der Meynell Hunt,
Züchter von Russell-Terriern, hier etwa in den 70ern.
Edward VII. 1908 mit seinem Terrier Caesar, ganz klar vom Russell-Typ.