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Ein allzu vergessener Künstler

Die erzgebirgische Volkskunst ist eine lebendige Tradition. Nahezu jeder Ort im Erzgebirge hat eine Schnitzstube, ein Museum oder einen Hersteller von Räuchermannerln, von Bergleuten in ihren traditionellen Uniformen, Weihnachtskrippen oder Nussknackern. Besonders die wunderschönen Weihnachtspyramiden sind weit über die Grenzen des Erzgebirges hinaus bekannt.


Gottfried Reichel (*31. Mai 1925 - 2. Oktober 2015) war ein Bildschnitzer aus dem Erzgebirge, der den Rahmen seiner heimischen Volkskunst sprengte.

Gottfried Reichel stammte aus dem Erzgebirgsdorf Pobershau, und lernte so schon als Kind die Schnitztradition seiner Heimat kennen. Seine Vorfahren waren Bergleute und Handwerker, er selbst war Autodidakt.

1943 meldete er sich freiwillig zur Bordfunkerausbildung an der Ostfront, doch als die im Spätsommer 1944 beendet war wurden Bordfunker nicht mehr gebraucht. Wiederum meldete er sich freiwillig, diesmal zu den Fallschirmjägern - auch die gab es nicht mehr. So wurde der junger Pobershauer einer anderen - wie man damals sagte - Eliteeinheit zugewiesen: Der Panzerdivision Totenkopf, einer Einheit der Waffen-SS. Im österreichischen Linz endete der Zweite Weltkrieg für ihn. Er kam in englische Kriegsgefangenschaft.

Von dieser Zeit sagt er heute: "Ich fand Menschen, die mich einließen und mit denen ich ins Gespräch kam. Die dabei gemachten Erfahrungen und Erlebnisse haben mein Leben völlig umgekrempelt. Es war eine Lektion in Menschlichkeit und Demokartie, die mich bis heute prägt." Diese Zeit konfrontierte Gottfried Reichel auch mit den Verbrechen der Nazis. Selbst stellte er sich immer wieder die Frage, "was wäre gewesen, wenn man mich statt zur Waffen-SS zur SS nach Auschwitz geschickt hätte."

Nach der Heimkehr 1948 wurde Gottfried Reichel "Neulehrer", aber er war den neuen Machthabern ideologisch nicht genehm. Bereits 1949 kam die fristlose Kündigung. In den folgenden Jahren bestritt er seinen Lebensunterhalt als Buchhalter.

In dieser Zeit der inneren Leere entdeckte er das Schnitzen für sich und entwickelte nach konventionellen Anfängen seinen ausdrucksstarken Stil, der an Ernst Barlach und Käthe Kollwitz erinnert.

Gottfried Reichel verkaufte seine Figuren nicht.

Weil er zu DDR-Zeiten unerwünscht war, blieb Reichel lange Zeit weitgehend unbeachtet. 1974 war die erste Ausstellung in der Dorfkirche Burkhardswalde bei Meißen, der 40 weitere Ausstellungen in evangelischen Kirchen folgten, nach der Wende auch in Rathäusern, Hotels und Museen, schließlich auch in den Niederlanden sowie in Nord- und Süddeutschland.

Biblische Themen hatte der Schnitzer erst zu Beginn der 50er Jahre aufgegriffen. Er übernahm die Leitung des Jungmännerkreises der evangelischen Kirchgemeinde. "In der gemeinsamen Bibelarbeit haben wir erfahren, dass das keine alten Geschichten sind. Wir fanden uns darin wieder." Aus der Beschäftigung heraus - dem "Hineinknien in die Schrift", wie Reichel sagte - entstanden die ersten biblischen Figuren.

Im Jahr 1997 wurde mit Unterstützung von EU-Mitteln eine dauerhafte Ausstellung für über 300 seiner Skulpturen in Pobershau errichtet. "Die Hütte" beherbergt heute sein Lebenswerk.


Um der Furcht vorzubeugen, dass das damals Geschehene niemand mehr wahrnehmen will, setzte sich Gottfried Reichel in seiner Kunst immer wieder mit dem Holocaust auseinander und setzte ihn neben biblische Themen, so bereits in den siebziger Jahren unter dem Thema "Deportation nach Babylon". Viele dieser Figuren erscheinen zeitlos, ganz vorn läuft ein Junge mit erhobenen Händen. Er wurde nach dem weltbekannten Originalfoto gestaltet. Die Bewacher sind deutschen Soldaten nachempfunden.

2003 wurden Figuren dieser Gruppe der Gedenkstätte Yad Vashem geschenkt.



In den Jahren 1995 bis 97 entstand dann die eindrucksvolle Figurengruppe "Menschen im Warschauer Ghetto" nach Fotografien des deutschen Soldaten Joe J. Heydecker, die dieser unter Lebensgefahr aufgenommen hatte. Jede einzelne Figur spiegelt ein ganz persönliches Schicksal wieder, keiner hatte eine Zukunft. Gottfried Reichel wurde gefragt, was er beim Schnitzen dieser Figuren empfunden habe: "Es war nicht einfach, jedes dieser Kinder hätte ja auch mein Kind sein können."







Ende des vergangenen Jahrtausends besuchte eine Gruppe aus Chemnitz stammender Juden Pobershau. Eine der Holocaust-Überlebenden meinte: "Man braucht den Figuren nur noch Atem einzuhauchen, dann leben sie."

Das Medium Gottfried Reichels war Lindenholz.

Der Tanz um das Goldene Kalb.
Schutzbedürftig.
Die Sünderin
Danach arrbeitete Reichel noch fast 15 Jahre. Dieses Spätwerk war als Wanderausstellung unter dem Titel "Biblische Geschichte in Holz" in Deutschland unterwegs und wurde in über 30 Orten gezeigt.

Zum Abschluss (ich lebe in Pobershau) ein paar grottenschlechte Aufnahmen aus meinem Billighandy (sie wären aber, um ehrlich zu sein, mit einer teuren Kamera aufgenommen kaum besser geworden).

Der verlorene Sohn.

Jeremiah.

Der gute Samariter.

Auf der Suche nach einer Herberge.
Im Oktober 2015 im Alter von 90 Jahren verstarb Gottfried Reichel. Sein Grab befindet sich in Marienberg.



Meine wichtigste Quelle: TAG DES HERRN, Artikel von 1999.

Informationen: "Die Hütte", Rathausstraße 10 in 09496 Pobershau, Tel. (0 37 35) 6 25 27.

Literaturhinweis: Joachim Schöne: "Dieses Holz lebt - Das Lebenswerk des Schnitzers Gottfried Reichel"; Druck- und Verlagsgesellschaft Marienberg, ISBN 3-931770-25-7; 34.90 Mark

Joe J. Heydecker: "Das Warschauer Ghetto"; Fotodokumente eines deutschen Soldaten aus dem Jahr 1941; DTV-Taschenbuchverlag, ISBN 3-423-30724-2; 16,90 Mark

Wir wohnen auf einem bergbaugeschichtlichen Lehrpfad...

...und das ist für diese Tochter des Ruhrgebiets, deren Vater aus einer Bergmannsfamilie stammt und deren Heimatstadt, die als Wiege des Ruhrbergbaus gilt, ebenfalls einen eminenten bergbaugeschichtlichen Lehrpfad aufzuweisen hat, neben all' den anderen Annehmlichkeiten im Erzgebirge, besonders schön.

Tatsächlich ist unsere nähere Umgebung Teil der Silberstraße, die den Weg des Silbers aus den Bergwerken im Erzgebirge zu den Erzaufbereitungsstätten dokumentiert. Unser winziges Örtchen ist auch auf dieser Karte zu finden

Sämtliche Bilder und das Video sind von Stätten, die wir täglich passieren.

Quelle: Wikipedia, CC BY-SA 3.0

"Unser" Haus, einst ein Pochwerk, in dem das Silbererz aufbereitet und gereinigt wurde, dann eine Mühle, heute ein gepflegtes Wohnhaus für wenige Parteien und eine ländliche, ungemein populäre Eisdiele.


Das Modell eines Pochwerkes im nahen Park mit Hunden.


Ehemalige Erzaufbereitungsstätte, heute ein Wohnhaus.

Niemand hat mir sagen können, was ein "altes Gemäuer" für eine Funktion im Erzbergbau hatte. Heute ist es Teil einer kleinen Metallwarenfabrik.

Ein schönes, gepflegtes kleines Häuschen. Das Schild erläutert es.

Ein verbrochenes Mundloch ist der zugeschüttete Ein- bzw. Ausgang zu einem Stollen. Die Anregung, es als Invektiv zu verwenden, wurde bereits gemacht.

Hinweis am ehemaligen Krauthahner Stollen, das Apostroph des Grauens nicht beachten .  

Und das ist es, das Brückl. Unser täglicher Weg über die Rote Pockau in die freie Natur.

Das alles liegt auf einer Strecke von etwa 2 Kilometern und mag einen Eindruck davon zu vermitteln, was die ganze Region zu bieten hat.


Tipps für die interkulturelle Kommunikation

Die geniale Verknappung der Sprache erinnernt mich an meine Heimat Ruhrgebiet. Ich kann nur vermuten, dass sich das in Bergbaugebieten eingebürgert hat, weil unter Tage eben nicht viel Zeit für elaborierte Kommunikation war. Sie hätte Leben kosten können.

ERZGEBIRGISCH FÜR ANFÄNGER

WOCHENTAGE
Monsch
Diensch
Mittsch
Donnsch
Freitsch
Sammsch
Sonnsch

ORTE
Rücksch = Großrückerswalde
Kamps = Chemnitz
Ehrndorf = Ehrenfriedersdorf
Luuch = Lugau
Schiehad = Schönheide
Gelen = Gelenau

ALLGEMEINES (in keiner bestimmten Reihenfolge)
Butsch = hässlich, unsympatisch, (bei negativen Personenbeschreibungen fast immer anwendbar)
Feierriepel = Schornsteinfeger
Gack = Jacke
Pfar = Pferd(e)
Gung = Junge
Maad = Mädchen
Tippl = Töpfchen, Tasse
Näppl = Näpfchen
Beffsteck = Frikadelle, Klops, Bulette
Biedlgusch = Petze
(Alte) Mummel = altes Weib
Krack = böses Weib
Schmiech = Zollstock
Schurmeis = Wühlmäuse
Speckfettbemme = Schmalzschnitte
Bemme = Schnitte
Gelapp = dummes Geschwätz
Arschgelapp = Steigerung von Gelapp
Lappfotz = ist selbsterklärend
Eberbodn = Dachboden
Pinkelkleid = Kleid mit Pünktchen
Grinsen = heulen/weinen
Bettl = (Sitz-)Kissen
Mahlfassel (Mehlfässchen) = Die Früchte des Weißdorns
Spittl =  billiger Dekokram, Nippes
Iietsch = böse (im Sinne von: "Da bin ich iietsch geworden".)
Braatschen  = heftig regnen
Dubrich = schwül (Wetter)

(Wird laufend ergänzt.)

Eine Geschichte aus dem Erzgebirge

Zum Ausklang des Winters ein verschneiter Gruß aus dem Erzgebirge über einen großen Sohn der Region.

Anton Günther kam als Sohn des Weißwarenstickers und Zeichners Johann Günther, der 1873 nach einem verheerenden Stadtbrand vom nahen Joachimsthal in sein Vaterhaus zurückgezogen war und seinen Bergmannberuf aufgegeben hatte, am 5. Juni 1876 in Gottesgab zur Welt, wo er auch seine Kindheit verbrachte.

Da sein Vater durch Musizieren zu seinem kargen Gehalt dazuverdiente, wurde auch der Sohn schon früh an Gesang und Liedgut seiner Heimat herangeführt. Seine Schulbildung erhielt er in der Bürgerschule in St. Joachimsthal. Anton Günther war eines von sieben Kindern.

Ursprünglich wollte er Förster werden, aber sein Zeichentalent und die Sorge um die Familie führten ihn zur Lehre bei dem Lithografen Ed. Schmidt im sächsischen Buchholz. Nach nur drei Jahren wurde er freigesprochen. Weiter zog es ihn ab 1895 nach Prag an die KuK Hoflithographie-Anstalt A. Haase. Mit anderen Gottesgabern und böhmischen Erzgebirglern, traf er sich regelmäßig zum "Guttsgewer Obnd" (Gottesgaber Abend). Für eines dieser Treffen, bei dem auch zur Gitarre Lieder aus der Heimat gesungen wurden, verfasste Anton Günther 1895 eines seiner bekanntesten Lieder, "Drham is’ drham". Die große Resonanz darauf, führte zu einer neuen Idee. Statt den Text zum Weitergeben immer wieder abzuschreiben, zeichnete er ihn 1895 auf Lithographie-Stein und ließ ihn als Postkarte drucken.

Nach dem Tod seines Vaters 1901 kehrte Günther in sein Elternhaus in Gottesgab zurück und musste sich um Mutter und vor allem die Geschwister kümmern. Die geerbte kleine Landwirtschaft reichte nicht zum Leben, darum ergänzte Anton Günther seine Einkünfte, wie schon sein Vater, mit Auftritten als Sänger und Musiker, außerdem verkaufte er seine Liedpostkarten im Selbstverlag.

Am 9. Juli 1908 heiratete Anton Günther in Gottesgab Marie Zettl (1886–1958), die Tochter des beim Keilberghausbau federführenden Zimmermanns. Der Ehe entstammen drei in Gottesgab geborene Kinder.

Das Erzgebirge wurde damals zunehmend beliebt als Urlaubs- und Kurregion. Gaststätten und Vereine luden Günther zu Unterhaltungsabenden vor allem ins sächsische Erzgebirge ein. Der Erfolg war groß. Einen nicht unwesentlichen Teil der Einnahmen brachte Günther 1911 in eine Stiftung ein, die Kranke, Alte und Arme in seinem Heimatort unterstützte. Sie hieß Tolerhans-Tonl-Stiftung.

Anton Günther 1914 als KuK Landsturmmannn
Den Ersten Weltkrieg erlebte Anton Günther als österreichischer Soldat an der serbischen Front von Anfang an. Durch eine Verletzung verbrachte er einige Zeit in einem Lazarett in Komotau. Anschließend wurde er zum Kriegshilfsdienst abkommandiert. Im Herbst des Jahres 1918 kehrte der Sänger nach Gottesgab zurück. Einer seiner Brüder, Julius, überlebte den Krieg nicht, und Anton Günther unterstützte nun auch die Familie seines Bruders.

Die Entstehung der Tschechoslowakei brachte mit sich, dass die Verhältnisse der nationalen Minderheiten für diese nachteilig geregelt wurden. Dies verletzte den heimatverbundenen Künstler sehr und wurde auch Gegenstand seiner Lieder. Bereits 1908 hatte er auf die sich schon damals abzeichnenden nationalen Spannungen mit dem Liedtext "Deitsch on frei wolln mer sei!" geantwortet.

Auch nach dem Krieg blieb der Sänger Anton Günther beliebt. Es gab Engagements in Berlin, Wien und Dresden. Sehr erfolgreich waren Schellack-Schallplatten, auf denen er sich selbst auf der Gitarre begleitete.

Boží Dar heute.
Eine besondere Würdigung seines Schaffens erfuhr er am 5. Juni 1936 zu seinem 60. Geburtstag. Höhepunkt war die Einweihung des noch heute erhaltenen Gedenksteins auf dem Marktplatz von Gottesgab. In der Nazizeit ließ der Volkssänger sich von den Nationalsozialisten trotz deren Werbens nicht vereinnahmen.

Am 29. April 1937 nahm sich Anton Günther das Leben.

Gottesgab heißt heute Boží Dar, was dasselbe bedeutet.