John Russell, der jagende Pfarrer – Ein verrücktes Leben

John "Jack" Russell* wurde am 21 Dezember 1795 in Dartmouth, South Devon, als Sohn des Pfarrers John Russell und seiner Frau Nora Jewell geboren. Die Familie war in Devon seit dem 16. Jahrhundert ansässig. John der Vater, dessen Vater ebenfalls Pfarrer gewesen war, hatte wohlhabend geheiratet und John der Sohn eine unbeschwerte Kindheit.

John war eine eindrucksvolle und bekannte Persönlickeit in der Grafschaft Devon, und obwohl seine Gemeinde ihn verehrte, war er nicht einer derjenigen Geistlichen, denen es nur um das spirituelle Wohlergehen ihrer Schäfchen gegangen wäre. So lange er lebte, nahm Russell mindestens dreimal in der Woche an Fuchsjagden zu Pferde teil. Er hielt eigene Pferde und eine eigene Otterhund-Meute und durfte den distinguierten Titel** "Master of Otter Hounds" tragen.

Die Erziehung des Knaben John war typisch für die des Sohns eines anglikanischen Geistlichen im 19. Jahrhundert. Er besuchte Plympton Grammar School bis er 14 war, dann die Public School*** Blundell’s in Tiverton. Blundell’s School vertrat, bis heute nicht unüblich für Public Schools, eine spartanische Pädagogik. Die Schüler mussten um 7 Uhr morgens an ihren Tischen sitzen und es heißt, die Tinte in den Tintenfässern sei gefroren gewesen. Auf dem Lehrplan standen Lateinisch, Griechisch, die Naturwissenschaften und, für eine Extragebühr, Tanzstunden.

Die Meinung der Lehrer über den Pfarrerssohn war nicht ungeteilt positiv, hatte er doch zusammen mit einem Freund die Gelegenheit wahrgenommen, Kaninchen und Ratten mit den örtlichen Landwirten zu jagen. Foxhounds wurden angeschafft und Russell erwies sich als begabter Hundeausbilder. Allerdings wurden die beiden von einem Mitschüler "verpetzt". Der Freund musste die Schule verlassen, John kam mit Prügelstrafe davon. Was aus den Hunden wurde, ist nicht bekannt.

1814 immatrikulierte sich John am Exeter College in Oxford. Er verließ Oxford 1818 mit dem geringsten Abschluss, war er doch kein fleißiger Student gewesen und investierte, so heißt es, nur "minimal" in seine Studien.

John Russell zu Pferde mit seiner Meute und einem Terrier, James Loder (1784–1860).
Seine Interessen lagen woanders. Während seiner Studienzeit in Oxford entdeckte er seine Leidenschaft für Terrier. Er hatte mit den Foxhounds des Herzog von Beaufort**** und den Meuten von Bicester und Old Berkshire gejagt und dabei aufmerksam die Methoden der erfahrenen Masters of Hounds beobachtet.

In der Zeit des Jack Russell wurde "sport" gleichgesetzt mit Fuchsjagd zu Pferde, Jagen und Angeln - "Hunting, Shooting, Fishing" - und der junge Mann zeigte außergewöhnliches Talent beim Umgang mit Hunden und Pferden. Im 19. Jahrhundert kannte man noch keine eindeutig definierte Terrier"rassen", obwohl es schon Typunterschiede gab. In der Cynographia Britannica, erschienen um 1800, werden zwei Typen erwähnt: krummbeinige und solche mit graden Beinen. Ihre Farbe war meist schwarz mit braunen Abzeichen. Rote, braun-gelbe und gefleckte wurden ebenfalls erwähnt, Weiß war die von Jägern bevorzugte Farbe, da sie es leichter machte, Hund und Jagdbeute auseinanderzuhalten. Rute und Ohren waren kupiert. Ihr Temperament wurde beschrieben als "mürrisch, schlechtgelaunt, reizbar und aufmerksam", aber auch als "tapfer und intelligent".

Die legendäre "Trump". Das Bild wurde vom Fürsten von Wales in Auftrag gegeben, rund 40 Jahre nach dem Tod der Hündin. Es hängt heute noch in der Sattelkammer von Sandringham.
So muss der junge John Russell auch seine legendäre weiße Hündin "Trump" gefunden haben, denn er soll sie, ohne dass er sie je hätte jagen sehen, einem Milchverkäufer nahe Oxford vom Wagen weggekauft haben.

Dieser eher lässige Umgang beim Kaufen und Verkaufen von Hunden scheint typisch für ihn gewesen zu sein. Seine finanziellen Umstände zwangen ihn, seine Meutehunde mehrere Male zu verkaufen und dass er von Trump ausgehend eine Linie durchgezüchteter Terrier entwickelt hätte, ist ins Reich der Fabel zu verweisen. Tatsächlich kaufte er Hunde, die ihm gefielen, behielt sie, wenn sie gut arbeiteten und gab sie weiter, falls nötig. Geldsorgen überschatteten sein Leben immer.

Vater Russell gefiel das Benehmen seines Sohnes nicht. Er sorgte dafür, dass der junge John von der Straße weg kam und 1820 wurde der 27jährige vom Bischof von Exeter zum Priester geweiht.

Das Leben eines anglikanischen Landpfarrers im 19. Jahrhundert war nicht unbedingt arbeitsintensiv. Sein Tagebuch erwähnt immer wieder, dass er in der einen Tageshälfte Gottesdienste, Hochzeiten und Begräbnisse zelebrierte und in der anderen dem Fuchs zu Pferde nachstellte. Seine Vorgesetzten fragten sich daher auch, wie er die Energie dazu aufbringe, ganz zu schweigen von seinem lebhaften Handel mit Hunden und Pferden und seiner Leidenschaft für "Hunting Parties" nach der Jagd. Von Zeit zu Zeit wurde die Frage auch öffentlich gestellt, die Lokalpresse nannte ihn den "nutzlosen Pfarrer Jack Russell", aber das tat seiner Popularität keinen Abbruch, im Gegenteil. Die meisten seiner Gemeindemitglieder liebten ihn.

1826 heiratete Russell die 26jährige Penelope Incledon Bury, eine Admiralstochter aus einer alten Devonshire-Familie, deren Mutter nicht begeistert über die Wahl ihrer Tochter gewesen sein soll. Und obwohl die Ehe fast 49 Jahre dauerte, meinte ein Biograph, dass es offensichtlich gewesen sei, dass seine Frau niemals zwischen ihn und seinen Lieblingssport geraten sei. Zwei Jahre nach der Heirat hatte Russell bereits einen beträchtlichen Teil von Penelopes Vermögen ausgegeben.

1832 zieht der Pfarrer mit seiner Familie nach Swimbridge, Devon, wo er 40 Jahre lang Vikar***** an der St James Church bleiben wird.

Es ist bemerkenswert, dass die Rasse, die seinen Namen unsterblich gemacht hat, eine relativ geringe Rolle in seinem Leben spielte. Obwohl er 1873 einer der Gründer des Kennel Club war, hatte er kein Interesse an Schauen. Was er brauchte waren gute Arbeitshunde, wie sie aussahen spielte keine Rolle für ihn, und obwohl er für den Rest seines Lebens Mitglied des Kennel Club blieb, hat er nie seine eigenen Hunde ausgestellt. Ihm wird das Zitat "A dog with one short leg and three long ones is no eyesore - as long as it can work properly" – "Ein Hund mit einem kurzen Bein und drei langen tut dem Auge nicht weh - solange er ordentlich arbeitet" zugeschrieben.

"Jocko with a Hedgehog" von Sir Edwin Henry Landseer (1802 bis 1873) und eine Terrierhündin des Russell-Typs im Besitz der Autorin. Der Typ hat sich bis heute treu erhalten.
Ein Terrierman der Bicester Hunt, mit der auch John Russell gejagt hat. Das Foto stammt schätzungsweise aus den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts.
Der Terrier des Jack Russell passte perfekt zu der Landschaft, der er entstammte, das rauhe, hügelige Gelände des "West Country". Diese Terrier konnten mit den schnellen Foxhounds mithalten, hatten eine Riesen-Ausdauer und waren intelligent. Ein verletzter oder müder Terrier wurde von Russell vor sich auf den Sattel genommen, in jeder anderer Hinsicht war er unnachgiebig. Von einem Hund, der nicht seinen Erwartungen entsprach, trennte er sich ohne Mitleid. Obwohl viele Jäger diese Terrier bei der Jagd auf Ratten oder Kaninchen einsetzten, tat Russell dies nur bei der Fuchsjagd. Der Pfarrer legte Wert darauf, dass seine Hunde den Fuchs nicht unter der Erde töteten oder ernsthaft verletzten, sondern ihn nur aus dem Bau sprengten, damit er über der Erde weiter gejagt werden konnte.

Der Fürst von Wales, später König Edward VII, lernt ihn 1873 kennen und lädt ihn ein zu einem Ball in Sandringham House. Jack tanzt bis 4 Uhr morgens und wird zur Weihnachtswoche erneut eingeladen. Der alte Schwerenöter charmiert Prinzessin Alexandra und tanzt hinein in das neue Jahr 1874 mit ihr.

Penelope Russell starb 1875 und sofort war John wieder in finanziellen Schwierigkeiten. Reiche Freunde unterstützten und feierten ihn anlässlich einer riesigen Party im Landhaus des Herzogs von Bedford, auch ein Russell,****** enthusiastisch.

John Russell in einer zeitgenössischen Karikatur.
1879 gehen der Fürst von Wales und John Russell gemeinsam auf Hirschjagd mit 2000 berittenen und 9000 Teilnehmern zu Fuß.

Am 24. April 1883 stirbt John Russell. Mehr als tausend Trauergäste nehmen an seinem Begräbnis teil. An diesem Tag findet man seine alten Predigten und andere Papiere vom Wind hin- und hergeblasen im Hof des Anwesens. Von Russell selbst bleiben nur wenig schriftliche Zeugnisse erhalten. In seinem Nachruf werden seine Terrier nicht erwähnt.

Anmerkungen:

* Auf die Diskussion, welcher Name der korrekte für die Terrier des John Russell ist, wird hier nicht eingegangen. In Deutschland ist der Parson Russell Terrier derjenige, der vom JGHV anerkannt ist, während der Jack Russell eher mit dem kurzbeinigen "Reiterjackie", den die englischen Pferdepflegerinnen in den 70er Jahren nach Deutschland brachten, assoziiert wird. In England und Amerika ist der Jack Russell der urtümliche Jagdterrier, der, in der Tradition des alten Pfarrers, keiner Schönheitskonkurrenz unterliegt, während der Parson Russell dort der Schauhhund ist.


Hunde des Russell-Typs in einer zeitgenössischen Darstellung: John Emms (1844 bis 1912) "Acht Drahthaar-Foxterrier im Zwinger".
In alten Darstellungen findet man auch Terrier, die eindeutig dem Typ des Jack Russell entsprechen, als Foxterrier bezeichnet. Die Bezeichnung "Jack Russell Terrier" ist neueren Datums.

** Der Titel "Master of Hounds" bringt bis heute beträchtliches gesellschaftliches Prestige in England mit sich.

*** Eine englische "Public School" ist nicht, wie in Amerika, eine "öffentliche Schule", sondern eine elitäre Privatschule.

**** Noch heute eine der prestigeträchtigsten "Hunts" (etwa: "Jagdclub") in England.

***** In der Church of England ist ein vicar ein voll ausgebildeter und ordinierter Geistlicher. Im Deutschen ist ein Vikar noch nicht ordiniert.

****** Dieser Familie entstammt auch der Philosoph Lord Bertrand Russell. Pfarrer John war nicht mit ihr verwandt.


Greg Mousley, 32 Jagdsaisons lang Terrierman der Meynell Hunt,
Züchter von Russell-Terriern, hier etwa in den 70ern.
Edward VII. 1908 mit seinem Terrier Caesar, ganz klar vom Russell-Typ.