Der "Tatort", der Deutschland veränderte

Gudrun Eussner vermerkt:
3sat der ARD erfindet einen Thementag über die 70er Jahre, bietet dazu zum sechsundzwanzigtausendvierhundertelften Mal den Tatort "Reifezeugnis" und läßt die "Kommissar"-Fans frustriert zurück. Weisheit von mirrr! Tatort Reifezeugnis. Buch: Herbert Lichtenfeld, Regie: Wolfgang Petersen, 1977
Das ist kein Zufall, das hat Methode. Dieser Streifen war der Durchbruch der politischen Korrektheit in Deutschland. Er brach mit der negativen Besetzung grundsätzlicher Dinge, die vorher noch nicht auf breiter Basis gesellschaftlich akzeptiert waren, von denen aber jeder recht (oder besser: links) Denkende dachte, dass sie spießig und verknöchert seien und auf den Müllhaufen der Geschichte gehörten:
Eheliche Treue, Tabuisierung von Sex zwischen den Generationen, Tabuisierung von Sex zwischen Lehrern und Schülern und die Missbilligung von Leuten, die einem anderen Menschen das Leben genommen haben. "Nasti" war doch so anbetungswürdig, Christian Quadflieg so männlich und doch so verletzbar, Judy Winter so ein tapferes Frauchen - irgendwie war auf einmal alles verständlich und damit alles entschuldbar.



Und weil es nach 32 Jahren immer noch Unbelehrbare gibt, die an derart vemotteten Idealen festhalten möchten, muss es eben zum einundzwanzigtausendvierhundertelften Mal wiederholt werden, denn wer nicht begreifen will, dass heute alles geht, bekommt irgendwann Probleme, denn die einstmals Progressiven sind längst zur neuen Spießerklasse mutiert und Spießer - das ist nichts Neues - bestimmen, was "geht" und was nicht. Seid tolerant, vorurteilslos, emanzipiert Euch von Ethik, Sitte und moral - sonst knallts.

Man hätte es wissen können.

Laut Wikipedia-Eintrag wollte Lichtenfeld "sich aus Überzeugung nicht als Literat oder gar als Weltverbesserer verstanden wissen" - und in der Tat, das war er nicht. Er zog für sich vielmehr die Bezeichnung "Gebrauchsautor" vor, und als solcher war er überaus gut zu gebrauchen.

(Eintrag vom August 2009.)